Bernd Riexinger über die Vielfalt der heutigen Arbeiterklasse, gemeinsame Interessen und die besondere Aufgabe der Partei DIE LINKE

Die erste Auflage deines jüngst erschienen Buchs „Neue Klassenpolitik – Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen“ ist bereits vergriffen. Weshalb trifft das Thema offenbar den Nerv der Zeit?
Bernd Riexinger: Weil die Diskussion über Klassenpolitik extrem aktuell ist. Beispielsweise haben die beiden BMW-Erben Quandt und Klatten im vergangenen mehr als 1,1 Milliarden Euro Dividende erhalten – mehr als 3 Millionen Euro pro Tag, ohne eigenes Zutun, nur durch Ausbeutung. Gleichzeitig haben 40 Prozent der Bevölkerung – Verkäuferinnen, Fliesenleger, Krankenpflegerinnen – heute weniger Einkommen als vor 20 Jahren. Ganz objektiv: Es herrscht Klassenkampf.

Ist es noch zeitgemäß, von einer Arbeiterklasse zu sprechen?
Unbedingt. In Deutschland ist die Klasse der Lohnabhängigen so groß wie noch nie, aber ihre Zusammensetzung hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Die Arbeiterklasse ist heutzutage weiblicher und migrantischer, sie ist deutlich häufiger im Dienstleistungsbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. Leider ist sie auch gespalten, in Kernbelegschaften und Leiharbeitskräfte, in befristet und unbefristet Beschäftigte, aber auch in Frauen und Männer und in Deutsche und Migranten. Dieser Spaltung müssen wir eine verbindende Klassenpolitik entgegensetzen.

Was bedeutet verbindende Klassenpolitik?
Das Konzept der verbindenden Klassenpolitik beschreibt einen Weg für einen linken Aufbruch. Es geht mir darum, den Konflikt zwischen „uns hier unten“ und „denen da oben“ wieder offensiv zu führen und als Gegenentwurf zum Modell der Rechten durchzusetzen, die Deutsche gegen Einwanderer aufhetzen. Es geht darum, dass Menschen mit unterschiedlichen Berufen und Biografien, prekär und nicht prekär Beschäftigte, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe gemeinsame Interessen und gemeinsame Gegner erkennen. Dann können wir zusammen politische Auseinandersetzungen führen und gewinnen.

Wie kommen diese Menschen zusammen?
Das ist eine zentrale Aufgabe der Partei DIE LINKE: Wir müssen dabei helfen, Auseinandersetzungen und Forderungen zu finden, die die Spaltung überwinden; wir müssen die Kämpfe unterstützen, in denen die Menschen lernen, zusammen für eine Sache einzutreten.

An welche Auseinandersetzungen denkst du?
Ich denke zum Beispiel an unsere Bemühungen, die Arbeitswelt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen: mit höheren Löhnen und unbefristeten Verträgen, mit mehr Mitbestimmung und Wochenarbeitszeiten, die zum Leben passen. Wir müssen aber diese Fragen von Lohn und Kapital verbinden mit den Problemen der Reproduktion, also den gesamten Menschen in den Blick nehmen. Das betrifft den Wunsch nach hochwertigen Kitas und Schulen, nach zuverlässigem Transport mit Bus und Bahn, nach guten Krankenhäusern und günstigen Mietwohnungen. Deshalb führt DIE LINKE zurzeit zwei Kampagnen: für mehr bezahlbaren Wohnraum und gegen den Pflegenotstand. Mit diesen Kampagnen versuchen wir, das Konzept der verbindenden Klassenpolitik in der Praxis umzusetzen. Vom Bodensee bis Rügen ist DIE LINKE in vielen Städten an Bündnissen und Initiativen beteiligt, um unsere Forderungen durchzusetzen. Diesen Ansatz werden wir weiter stärken.  

Bernd Riexinger ist seit 2012 Vorsitzender der Partei DIE LINKE. Zuvor war er jahrelang Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart und gehörte 2013 zu den Initiatoren der Proteste gegen Hartz IV.

error: Der Inhalt ist geschützt!
X